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Die Götterversammlung.1)


Jupiter, Momus, Merkur.

Jupiter. So höret einmal auf, ihr Götter, zwischen den Zähnen zu murmeln und in Winkeln beysammenstehend einander euern Verdruß zuzuflüstern, daß sich so viele mit an unsre Tafel setzen, die dieser Ehre unwürdig sind. Da eben dieß die einzige Ursache eurer gegenwärtigen Zusammenberufung ist, so trage ein jeder frey und öffentlich vor, was er gegen die allenfalsigen Mißbräuche einzuwenden hat. Merkur, verrichte dein Amt!

Merkur. Hola! Stille! Welchem unter den volljährigen Göttern, denen das Recht des Vortrags zusteht, beliebt es sich vernehmen zu lassen? Die Berathschlagung ist - über die Einheimischen und Fremden.

Momus. Ich Momus will reden, wenn du mirs erlaubst, Jupiter.

Jupiter. Der Aufruhr hat dir die Erlaubniß schon gegeben; es bedarf also der meinigen nicht.

Momus. Ich sage also: es sey etwas abscheuliches von einigen unter uns, daß sie, nicht zufrieden für ihre eigene Person aus Menschen Götter geworden zu seyn, sich aus jugendlichem Übermuth einbilden, ihre neue Würde gebe ihnen ein Recht, auch ihr Gefolge und Gesinde in Eine Classe mit uns zu setzen. Ich ersuchte dich daher, o Jupiter, um Erlaubniß mit voller Freyheit zu reden, und ich mußte es thun weil das gegen mich gefaßte Vorurtheil nur zu wohl bekannt ist. Jedermann weiß daß ich kein Blatt vor den Mund zu nehmen pflege, und nichts ungeahndet lasse was nicht ist wie es seyn sollte. Ich gestehe keiner Person noch Sache ein Privilegium gegen die schärfste Beurtheilung zu, und sage meine Meinung über alles öffentlich ohne Scheu und Zurückhaltung und ohne Ansehn der Person. Es ist also ganz natürlich, daß ich bey den meisten für einen Gott von beschwerlicher Laune und bösem Herzen passire, und den Übernahmen Allestadler von ihnen bekommen habe. Dessen ungeachtet aber, da es das Gesetz erlaubt und ich dazu aufgerufen, auch von dir, Jupiter, noch besonders dazu berechtiget bin, will ich mich über die vorgelegte Sache mit aller Freymüthigkeit herauslassen. Ich sage also, viele von uns, die sich wohl daran begnügen könnten für sich selbst den Beysitz bey uns erhalten zu haben und die Rechte der Göttertafel auf gleichem Fuß mit uns zu theilen, da sie doch zur Hälfte sterblich sind, seyen so weit gegangen auch ihre Dienerschaft, ja sogar ihre Zechbrüder mit sich in den Himmel herauf zu bringen, und verstohlner Weise in unser Bürgerbuch einzuschwärzen; so, daß diese Eingeschlichenen nun bey allen Austheilungen und Opfern gleiche Portion mit uns andern bekommen, wiewohl sie uns nicht einmal Schutzgeld bezahlen.2)

Jupiter. Sprich nicht so räthselhaft, Momus; erkläre dich deutlich, und nenne jeden den du meynst, bey seinem Nahmen. So lange du so ins Allgemeine sprichst, weiß man nicht wem es eigentlich gelten soll, und der eine deutet deine Worte auf diesen, der andere auf jenen. Diese Zurückhaltung schickt sich übel zu der Freymüthigkeit, worauf du dir so viel zu Gute thust.

Momus. Vortrefflich, Jupiter, daß du Selbst mich zur Freymüthigkeit anspornest! Das ist königlich und groß von dir gehandelt! Ich will also das Kind beym Nahmen nennen. Hier ist Bacchus,3) ein halber Mensch, und von mütterlicher Seite nicht einmal ein Grieche, sondern des Syrophönizischen Kaufmanns Kadmus Tochtersohn. Er ist nun einmal der Unsterblichkeit würdig geachtet worden, und ich will also gegen seine eigene Person nichts sagen; nichts von seiner Weibermütze, seiner Liebe zum Trunk, seinem taumelnden Gange; denn ich denke, es muß euch allen auffallen wie weichlich und weibisch er ist, wie ihm immer das Gehirn wackelt, und wie er schon am frühen Morgen nach dem stärksten Weine4) riecht. Gleichwohl, so wie er ist, hat er uns eine ganz neue Zunft aufgedrungen, und den saubern Chor, der dort um ihn her steht, den Pan und den Silenus, und die Satyrn, größtentheils Bauervolk und Ziegenhirten, und, der Gestalt und Sinnesart nach, wahre Mitteldinge von Thieren und Menschen, zu eben so viel Göttern gestempelt. Der eine mit seinen Hörnern, seinem Bocksbart und seinen Bocksfüßen ist mehr als zur Hälfte Bock; der andere, ein alter Kahlkopf mit aufgestülpten Naslöchern, der selten anders von seinem Esel herab kommt als wenn er sich vor Trunkenheit nicht länger oben erhalten kann,5) ist ein gebohrner Lydier; die Satyrn mit ihren spitzigen Ohren, und mit den kleinen Hörnern, wie sie bey jungen Böcken hervorzusprossen pflegen, vor der Stirne, sind Phrygier, denke ich; und alle zusammen haben Schwänze. Eine feine Art von Göttern, die wir ihm allein zu danken haben! Und wir wundern uns noch, daß uns die Menschen verachten, wenn sie so lächerliche Mißgeburten von Göttern in unsrer Mitte sehen? Daß er auch ein paar Weibsbilder mit heraufgebracht, seine Liebschaft Ariadne, deren Krone er sogar unter die Sterne gesetzt hat, und des Bauers Ikarius Tochter,6) davon will ich lieber gar nichts sagen: aber das lächerlichste ist, daß er sogar Erigonens Hund7) mit genommen, aus Furcht das holde Mädchen möchte sich gar zu sehr gegrämt haben, wenn sie ihr geliebtes Schooshündchen nicht im Himmel wieder gefunden hätte. Nennt ihr Götter, das Alles nicht Muthwillen und Einfälle eines Trunkenboldes, der den Narren mit uns treibt? - Aber weiter! Ich habe noch ein Wort über einige andere zu sagen -

Jupiter. Nur nichts gegen den Äskulapius und Herkules! Denn ich merke wohin du zielst, Momus. Jener ist Arzt, und hat schon so manchen Knaben wieder auf die Beine geholfen, daß Er allein viele andere an Verdiensten aufwiegt: und Herkules, mein leiblicher Sohn, hat die Unsterblichkeit mit seinen Arbeiten theuer genug erkaufen müssen. Also keine Einwendungen gegen diese beyden!

Momus. So will ich denn, Dir zu Gefallen, schweigen, Jupiter, wiewohl ich viel zu sagen hätte. Wenigstens, wenn auch sonst nichts an ihnen auszusetzen wäre, tragen sie noch gewisse Brandflecken8) an sich, die ihre Gottheit sehr verdächtig machen könnten. Wenn mir aber erlaubt wäre, Jupiter, ein und anderes was ich an dir selbst auszusetzen habe, mit Freymüthigkeit vorzubringen, -

Jupiter. O gegen mich kannst du so frey reden als dir beliebt. Willst du mir etwa auch mein Bürgerrecht im Himmel streitig machen?

Momus. In Kreta sagen sie dir noch was schlimmeres nach, sie zeigen sogar dein Grab. Aber ich glaube weder den Kretern, noch den Achäern von Ägion die dich für untergeschoben9) ausgeben. Ich will dir sagen was hauptsächlich an dir auszusetzen ist. Du selbst, Jupiter, bist die erste Ursache aller dieser gesetzwidrigen Unordnungen, und unser Collegium würde nicht von so vielen Bastarten verunziert werden, wenn du dich nicht so oft mit sterblichen Weibern eingelassen, und in so vielerley Gestalten den Liebhaber bey ihnen gespielt hättest, daß uns oft bange war, du möchtest einmal als Stier ergriffen und geschlachtet werden, oder als Gold einem Goldschmidt in die Hände gerathen, und aus dem Beherrscher des Olymps in eine Halskette, ein Armband oder einen Ohrring umgestaltet werden. Zu allem Überfluß hast du uns den Himmel mit diesen Halbgöttern angefüllt: denn ich kann ihnen keinen andern Nahmen geben; und es ist doch würklich lächerlich, wenn einer unversehens hört, daß Herkules zum Gott erklärt worden, Eurystheus hingegen, in dessen Diensten er stand, gestorben sey, und der Tempel des ehmaligen Sclaven und das Grabmal weiland seines Herrn neben einander stehen. Eben so ist zu Theben Bacchus ein Gott, seine Vettern hingegen, Pentheus, Aktäon und Learchus, die unglücklichsten aller Menschen.10) Seitdem nun du, Jupiter, diesen Ausschweifungen mit sterblichen Weibsbildern die Thüren aufgethan hast, haben dich alle übrigen Götter, und, was das schändlichste ist, sogar die Göttinnen hierin zum Muster genommen. Denn wer kennt den Anchises, den Tithonus, den Endymion, den Iasion, und alle andern ihres gleichen nicht? Es wäre so viel über diesen Punkt zu sagen daß ich lieber abbrechen will.


  1. Die Götterversammlung. Lukian führt in diesem Stücke eine Materie aus, welche Momus, (den er auch diesesmal zu seinem Stellvertreter macht) schon im Jupiter Tragödus [in dieser Auswahl nicht enthalten] berührt hatte. Er dichtet, daß es unter den Göttern im Himmel endlich selbst über gewisse ärgerliche und unleidliche Mißbräuche, die sich bey ihnen eingeschlichen, besonders über die ungebührliche Vermehrung ihrer Anzahl, öffentlich zur Sprache gekommen, und auf den Vortrag des Momus, der sich über alle diese Dinge mit seiner gewöhnlichen Freyheit herausläßt, ein Decret abgefaßt worden sey, eine förmliche Untersuchung des Titels eines jeden von den jüngern oder ausländischen Göttern, und der Art und Weise, wie er zu seiner Gottheit gekommen sey, vorzunehmen. Im Vorbeygehen bekommen auch die alten Götter, und die Philosophen, die es mit ihnen hielten, ihren Theil. Einen einzigen, etwas frostigen Scherze im Decrete des Momus ausgenommen, giebt dieses Stück an Wiz und Laune keinem andern Lukianischen Werke etwas nach; und es ist nicht zu besorgen, daß verständige Leser das Interessante übersehen werden, das diese sinnreiche Fiction, eines Alters von 1600 Jahren ungeachtet, noch immer behalten hat. Zurück
     
  2. Diese und andere in gegenwärtigem Stücke vorkommende Anspielungen auf Atheniensische Gesetze und Gebräuche gehören unter die kleinen Schönheiten der Lukianischen Schreibart, deren Reiz die Zeit abgestreift hat. Zurück
     
  3. Ein legitimirter Sohn Jupiters und der Semele. Zurück
     
  4. Im Griechischen: nach purem oder unvermischtem Weine. Mäßige und Nüchternheit liebende Personen pflegten bey den Griechen nur selten und wenig puren Wein zu trinken; und bey der Stärke ihrer Weine konnte es nicht wohl anders seyn. Zurück
     
  5. Der Text sagt nur epi onou ta polla oicomenoV: ich hoffe aber, Lukian würde diese kleine Ausbildung dessen was er nur angedeutet, gut geheissen haben. Zurück
     
  6. Erigone. Zurück
     
  7. Er ist noch bis auf diesen Tag unter dem Nahmen Prokyon, oder der kleine Hund am Himmel zu sehen. Zurück
     
  8. S. das 13te der Göttergespräche. Zurück
     
  9. Was Momus hiemit sagen will, ist nicht allzudeutlich. Hier ist meine Vermuthung. Es scheint die Einwohner von Ägion (eine ansehnliche Stadt in Achaja) hatten eine alte Tradition, daß Jupiter als Kind von seiner Mutter Rhea (die ihn vor seinem Vater Saturnus verbergen mußte) den Töchtern des Olenus, Äge und Helice, die in dieser Gegend wohnten, zur Pflege anvertraut worden sey. Auf diese Tradition bezog sich, wie es scheint, eine vom Pausanias erwähnte alte Gewohnheit dieser Stadt, den schönsten Knaben in der Gegend zum Priester eines als Kind abgebildeten Jupiters zu weyhen, der, sobald er das Mannbare Alter erreichte, diese Würde wieder einem andern Knaben überlassen mußte. (Paus. VII. 24.) Da nun, der gemeinsten Meinung zufolge, Jupiter von der Amalthea in Kreta gesäugt worden, so mußten die Einwohner von Ägium, wenn sie ihre Tradition für die wahre hielten, den Kretischen Jupiter nothwendig für untergeschoben halten. Zurück
     
  10. Semele, die Mutter des Bacchus hatte drey Schwestern, Agave, Autonoe und Ino, deren hier genannten Söhne alle drey durch ihr unverdientes tragisches Schicksal bekannt sind. Pentheus, König von Theben, der Sohn der ersten wurde von seiner Mutter, Aktäon, der Sohn der zweyten, von seinen Hunden zerrissen und Learchus, der Sohn der dritten, von seinem Vater Athamas an einem Steine zerschmettert. Zurück

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Ein herzlicher Dank an Volker für die Übersendung der Ursprungsdatei.

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